Es brauchte nur 11 Tage, um die seit 53 Jahren andauernde Herrschaft des Assad-Clans über Syrien zu einem bislang weitgehend unblutigen Ende zu bringen. Die Truppen und Milizen von Baschar al Assad wollten am Ende nicht mehr für den Gewaltherrscher in die Schlacht ziehen. Sie hatten verstanden, dass die Zeit des Despoten endgültig abgelaufen war.
Gleiches gilt auch für Russland und Iran, die langjährigen Verbündeten der Assads: Auch sie hatten begriffen, dass nach der weitgehenden Zerschlagung der Hisbollah im Libanon auch das syrische Glied der von Teheran aufgebauten „Achse des Widerstandes“ nicht mehr zu retten war.
Moskau und Teheran haben – vermutlich in Absprache mit der Türkei und Katar – Baschar al Assad am Ende fallen gelassen wie eine heisse Kartoffel. Sein Sturz markiert eine Zeitenwende im Nahen Osten. Die Machtbalance im Morgenland ist durch den Regimewechsel in Damaskus nachhaltig erschüttert worden - die genauen Folgen noch nicht absehbar.
Assads überfälliger Sturz ist ein Grund zur Freude. Euphorie ist allerdings nicht angebracht: Denn noch kennen wir die genauen Absichten der neuen Machthaber in Damaskus, dem keinesfalls homogenen Islamistenbündnis Haiat Tahrir al-Scham (HTS) , noch nicht. Es ist keinesfalls sicher, ob ihren vollmundigen Versöhnungsversprechungen auch Taten folgen werden.
Abu Mohammed al-Julani, der neue starke Mann in Syrien, hat sich zwar von al Kaida losgesagt. Ein „lupenreiner Demokrat“ ist er deshalb noch lange nicht. Seine relative Nähe zu den Ideologien der Terrororganisation sind unübersehbar.
Trotzdem sollte auch der Westen jetzt mit dem Rebellenbündnis „HTS“ zusammenarbeiten, es aktiv unterstützen, wie dies schon jetzt die Türkei, Katar und Saudi-Arabien tun. Es ist ein offenes Geheimnis, dass auch die USA – als Strippenzieher im Hintergrund - sowie Israel – mit massiven Bombenangriffen in Syrien – den Sturz des Assad-Regimes beschleunigt haben. Für Joe Biden ist das Ende des Diktatur in Damaskus der vielleicht grösste aussenpolitische Erfolg seiner Amtszeit.
Auf diesen Erfolg gilt es jetzt aufzubauen: Fast sechs Millionen syrische Flüchtlinge leben unter meist entsetzlichen Bedingungen in Jordanien, der Türkei und im Libanon. Weitere zwei Millionen Syrien leben in Europa. In Syrien gelten fast vier Millionen Menschen als sogenannte Binnenflüchtlinge. Sie könnten in absehbarer Zeit in ihre Dörfer und Städte zurückkehren, wenn im Rahmen einer grossen internationalen Kraftanstrengung dem Land die Mittel, die Milliarden für den Wiederaufbau zur Verfügung gestellt werden.
Diese Chance darf jetzt nicht vertan werden. Denn sie wird vermutlich nicht wiederkommen. Es wäre eine Katastrophe, wenn der Westen nach dem Sturz des Assad-Clans jetzt taktische und strategische Kalküls in den Vordergrund stellen würde. Die von der Diktatur befreiten 27 Millionen Syrer brauchen Hilfe. Und zwar schnell.