„Wir haben versucht, nicht zu reagieren“

Im Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel schlägt der Iran überraschend leise Töne an. Im
schwer gebeutelten Libanon löst dies Hoffnungen aus.

Limassol/Beiruth von Michael Wrase

Masoud Pezeshkian ist seit seiner Wahl zum neuen iranischen Präsidenten nicht zu beneiden. Bereits am Tag seiner Vereidigung wurde Hamas-Chef Ismail Hanieh in Teheran bei einem wahrscheinlich von Israel verübten Attentat getötet. Der für iranische Verhältnisse gemässigte Politiker befürwortete daraufhin zwar Vergeltungsschläge seines Landes gegen Israel, setzte sich hinter den Kulissen letztendlich erfolgreich für „strategische Geduld“ gegenüber dem Erzfeind ein.

An dieser Linie scheint Pezeshkian auch im eskalierenden Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel festzuhalten. Bei einem Gespräch mit Agenturjournalisten in New York, wo er seit Montag seinen Antrittsbesuch bei den Vereinten Nationen absolviert, betonte der Iraner, dass Teheran sich in dem Konflikt „bewusst zurückgehalten habe, dies in der Hoffnung, den Frieden in der Region zu sichern“. Dass es dem Iran nicht um wirklichen Frieden, sondern vor allem um die Beibehaltung des Status Quo geht, der die politische und militärische Vormachtstellung der Hisbollah im Libanon garantiert, sagte er nicht.

Eine von vielen Libanesen befürchtete israelische Grossoffensive bis nach Beirut, bei der die Hisbollah vernichtend geschlagen werden könnte, wäre für Teheran eine strategische Katastrophe. Die islamische Republik würde in diesem Fall ihren wichtigsten Verbündeten im arabischen Nahen
Osten verlieren. Die Zerschlagung der schiitischen Widerstandsachse, die in den letzten Jahrzehnten von Teheran – über Bagdad und Damaskus – bis in den Libanon reichte, wäre dann nur noch eine Frage der Zeit.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter erstaunlich, dass der neue iranische Präsident nun leisere Töne in New York anschlägt. Sein Land wisse „besser als jeder andere, dass ein grösserer Krieg im Nahen Osten niemanden auf der Welt nutzen würde“, betonte Pezeshkian, der die Frage,
ob der Iran auf die israelischen Dauerattacken im Libanon „nun direkter reagieren“ werde, nicht beantwortete.

Pezeshkians moderater Auftritt in New York sorgte im schwer gebeutelten Libanon für Hoffnung auf eine Deeskalation im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah. „Man könne jetzt wohl davon ausgehen“, so die einhellige Kommentatoren-Meinung, „dass Iran seinem Verbündeten den Einsatz weitreichender Raketen gegen Israel vorerst verbieten werde“.

Mit letzter Kraft hat es die ums wirtschaftliche Überleben kämpfende Zedernrepublik geschafft, mehr als 200 000 Flüchtlinge aus dem Süd-Libanon in Beirut und dem nahen Libanon-Gebirge unterzubringen. 17 Stunden hätten einige der Vertriebenen gebraucht, um die 120 Kilometer aus dem Süd-Libanon bis nach Beirut zurückzulegen, berichtet der Rezeptionist der „Cavalier Hotel“ in der libanesischen Hauptstadt. Die Solidarität unter den Libanesen sei „gewaltig“.

Eine Ausweitung der so massiven israelischen Luftschläge auf Beirut, das gilt als sicher, würde wohl zum endgültigen Zusammenbruch des Libanon führen. 558 Menschen, berichtet das Beiruter Gesundheitsministerium am Dienstagnachmittag, kamen seit dem Beginn der israelischen Angriffe am Wochenende ums Leben. Unter ihnen waren 50 Kinder und 94 Frauen. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Die unter die Haut gehenden Bilder von Trauerfeiern, bei denen Mütter um ihre Jüngsten weinten, sprechen allerdings eine deutliche Sprache.

Eine von der Zivilbevölkerung ersehnte Deeskalation war auch am Dienstag nicht in Sicht. Nach den „Erfolgen“ der letzten Tage dürfe Hisbollah jetzt keine Atempause bekommen, betonte ein israelischer Militärsprecher. Die Angriffe auf die „Terrorinfrastruktur“ würden bis zum Rückzug der
Hisbollah aus den Grenzgebieten unvermindert weitergehen. Auch die Hisbollah setzte ihre Angriffe auf Nord-Israel fort. Bis zu 200 Raketen sollen u.a. einen Militärflughafen und eine Sprengstofffabrik im Hochland von Galiläa getroffen haben.

Währenddessen bemühen sich die USA, Frankreich eine Reihe von arabischen Staaten am Rande der Vollversammlung der Vereinten Nationen um eine diplomatische Lösung des Konflikts. In die Bemühungen würden auch der Iran und sein in New York weilender Präsident Pezeshkian
miteingebunden, berichtete „Sky Arabia“.