Supergau in Süd-Beirut - Pager-Attacken

Der Pager-Angriff gegen die Hisbollah wird die pro-iranische Terrororganisation nachhaltig schwächen.
Was bisher bekannt ist und was nun im Nahen Osten zu erwarten ist.
Sieben Fragen und Antworten.

Limassol/Beiruth von Michael Wrase

Gegen 15.20 Uhr Ortszeit sind am Dienstag im Libanon Tausende „personenbezogene Alarmierungsgeräte", die auch als Pager oder Pieper bekannt sind, explodiert. Die vermutlich mit Sprengstoff präparierten digitalen Meldeempfänger sollen von Israel gezielt zur Detonation gebracht worden sein. Mindestens 14 Menschen kamen bei dem „Pager-Angriff" ums Leben. Bis zu 3000 Menschen, die meisten von ihnen Mitglieder der Hisbollah, wurden zum Teil schwer verletzt. Für die Hisbollah sind die Attacken ein „Super Gau", dessen verheerende Folgen noch nicht absehbar sind.
Die israelische Regierung hat sich zu dem Pager-Angriff bisher nicht offiziell geäussert. Ein Mitarbeiter von Benjamin Netanjahu, Topaz Luk, bestätigte jedoch auf „X" die Federführung des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, von der auch westliche Geheimdienste ausgehen.

 

Frage: Die „Pager-Operation" war, sollte sie einmal ganz offiziell bestätigt werden, einer der grössten „Erfolge" des Mossad im arabischen Raum. Was weiss man über die Durchführung?

Meldungen, nach denen der taiwanesische Pager-Hersteller „Gold Apollo" die im Libanon explodierten Funkempfänger exportiert haben soll, wurden inzwischen dementiert. Ein Sprecher des Unternehmens bestätigte jedoch, dass eine Firma in Ungarn die Pager nach taiwanesischen Bauanleitungen produziert hat. Noch unklar ist, wo und wie die Geräte „manipuliert" worden sind. Laut New York Times und anderen US-Medien soll der Mossad die Lieferung abgefangen und die Geräte anschliessend mit jeweils 20 Gramm Plastiksprengstoff der tschechischen Marke Semtex präpariert haben. Die hochexplosiven Sprengladungen in den Pagern wurden vermutlich durch eine ferngesteuerte Software gezündet.

 

Frage: Warum hat die Hisbollah Pager zur Kommunikation verwendet?

„Einfache" Hisbollah-Kämpfer hatten die drahtlosen Pager bereits seit mehreren Jahren verwendet. Die mittlere - und höhere Kommandoebene wurde erst in den letzten Monaten mit Pagern ausgestattet. Der Grund war offensichtlich: Immer wieder war es Israel gelungen, die Mobiltelefone und andere vermeintlich moderne Kommunikationsmittel der Terrororganisation zu orten und hochrangige Kommandeure der Hisbollah imLibanon und in Syrien zu eliminieren. Auch dem Ende Juli in Teheran getöteten Hamas-Chef Ismail Hanieh war sein Handy zum Verhängnis geworden. Im Vergleich zu Mobiltelefonen sind Pager schwierig zu orten, weil es kein Rücksignal gibt und eine Überwachung damit kaum möglich ist - es sei denn, die Geräte wurden - wie im Libanon ganz offensichtlich geschehen - raffiniert manipuliert.

 

Frage: Das Ambulanz-Personal im Libanon spricht von „entsetzlichen Verletzungen", welche durch die explodierenden Pager verursacht wurden. Was ist bekannt?

Wie Feuerwehrmänner in Europa trugen viele Hisbollah-Funktionäre ihre Pager am Gürtel ihrer Hosen oder direkt in den Hosentaschen. Die Explosionen führten zu tiefen Fleischwunden, im Hüftbereich, aber wohl auch im Bereich der Genitalien, dessen Folgen für die Betroffenen verheerend sein dürften. Thematisiert werden diese Verletzungen in Arabien aber nicht. Tödlich oder schwer verletzt wurden vor allem jene Hisbollah-Leute, die ihre Pager in der Brusttasche ihrer Hemden trugen.

Der iranische Botschafter in Beirut soll bei dem Angriff ein Auge verloren haben. In den Spitälern der libanesischen Hauptstadt, berichtet Al Jazeera, seien viele Amputationen von Gliedmassen vorgenommen worden. Das „Entsetzen", heisst es, sei gewaltig.

Frage: Nach amerikanischen Medienberichten soll Israel die Pager früher als eigentlich geplant zur Explosion gebracht haben. Was sind die Gründe?

Laut dem US-Magazin Axios sowie Informationen der Nachrichtenagentur Reuters waren die Pager-Operationen ursprünglich als „Auftakt" für eine „allumfassende" israelische Offensive gegen die Hisbollah geplant. In den letzten Tagen hätten sich israelische Geheimdienstkreise jedoch besorgt darüber geäussert, dass die Hisbollah von der Manipulation der Pager erfahren haben könnte. Die Geräte seien daher vorzeitig gezündet worden. „Es war ein Moment, in dem man die Gelegenheit nutzen oder sie verstreichen lassen musste", sagte ein US-Beamter gegenüber Axios.

 

Frage: Welche Folgen wird der Pager-Angriff für die Hisbollah haben?

Die Pager-Detonationen sind für die pro-iranische Terrororganisation ein Super Gau, eine schwerwiegende Demütigung. Der Imageverlust für die Hisbollah, der durch die sehr wahrscheinlich vom Mossad durchgeführte „Pager-Operation" entstanden ist, ist verheerend und war vom israelischen Geheimdienst auch genau so gewollt: Hisbollah sollte vor den Augen der Weltöffentlichkeit blossgestellt, der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Es wird Monate dauern, bis die Gruppe diesen psychologischen Tiefschlag, diesen schweren Gesichtsverlust, verarbeitet hat. Auch bei ihren Anhängern - und im Libanon sowieso - wird Hisbollah an Ansehen verlieren. Das gilt auch für Iran, den wichtigsten Sponsor der Hisbollah.

 

Frage: Wie wird Hisbollah jetzt reagieren? Bricht jetzt der seit Monaten befürchtete „allumfassende" Krieg zwischen Israel und der Hisbollah nun aus?

Hisbollah wird einige Wochen, wenn nicht gar Monate brauchen, um den „Pager-Tiefschlag" zu verarbeiten. Ohne ein funktionierendes Kommunikationssystem kann Hisbollah keinen Krieg führen. Für Israel wäre der Zeitpunkt dagegen noch immer günstig. Allerdings steht Washington solchen Plänen im Wege. Die Biden-Administration will vor den Wahlen keinen grossen Krieg im Nahen Osten, weil Trump davon profitieren könnte. Um „ihr Gesicht" zu wahren sowie ihre „Glaubwürdigkeit" als lange Zeit „erfolgreiche" Anti-Israel-Miliz im Nahen Osten wiederzustellen, wird die Schiitenorganisation reagieren, Racheoperationen durchführen. Das wurde in Beirut bereits mit lautem Getöse angekündigt. Wann, ist unklar. Auch die befürchteten iranischen Vergeltungsschläge gegen Israel nach dem Tod von Ismail Hanieh vor sieben Wochen lassen weiter auf sich warten, weil die Sicherheitslücken offenbar bis heute nicht gestopft werden konnten. Mit den gleichen Problemen ist jetzt die Hisbollah konfrontiert.

 

Frage: Weiss man eigentlich, wie es Hisbollah-Führer Nasrallah geht?

Der Geistliche soll unverletzt sein. Er will am Donnerstag, 19.09.24, 17.00 Uhr Ortszeit eine Rede halten. Diese wird auch vor dem Hintergrund der schweren Demütigung, die die Hisbollah am Dienstag durch Israel erfahren hat - mit Hochspannung erwartet.