Die Evakuierung des iranischen Militärpersonals aus Syrien hatte bereits vier Tage vor dem Sturz des Assad-Regimes begonnen: In A-340 Grossraumflugzeugen der Mahan Air waren mehr als 4000 Berater und Offiziere der iranischen Revolutionsgardisten vom syrischen Latakia aus zurück nach Teheran geflogen worden. Nach ihrem überstürzten Abzug steht das iranische Regime vor einem Scherbenhaufen: Der von Israel erzwungene Rückzug aus dem Libanon und Syrien ist die schwerste strategische Niederlage des Iran in Arabien seit der islamischen Revolution von 1979.
Das weiss auch die iranische Bevölkerung. Sie hatte die in den letzten Jahrzehnten immer wieder darauf gedrängt, dass die Milliarden, mit denen die Hisbollah und das Assad-Regime unterstützt wurden, im eigenen Land investiert werden sollten. Das Land hätte so vermutlich aus der schweren Wirtschaftskrise geführt werden können. Stattdessen hat sich die Krise weiter verschärft. Nach dem Assad-Sturz am Wochenende verlor die Landeswährung Rial gegenüber dem Dollar weitere 20 Prozent. Für einen Dollar mussten am Mittwoch 740 000 Rial bezahlt werden.
Die wachsende Kritik am Nahostdebakel der so hoch gelobten Revolutionsgardisten versucht das Regime nun mit juristischen Schritten in den Griff zu bekommen. Für Unruhe sorgende Berichte über die (völlig gescheiterte) Nahostpolitik in der Presse und den sozialen Medien würden „wegen der delikaten Lage in der Region demnächst als Straftat bewertet“, drohte die iranische Staatsanwaltschaft. Zwei Blogger und ein Zeitungsreporter seien deswegen bereits festgenommen worden, wurde vom den Justizportal Misan mitgeteilt.
Die Drohung zeige, wie „verzweifelt das in akutem Erklärungsnotstand geratene Regime inzwischen ist“, erklärte Jamschid, ein politischer Aktivist in Teheran, in einem Telefongespräch mit dem Korrespondenten dieser Zeitung. Seinen vollen Namen wollte er aus naheliegenden Gründen nicht nennen. Die Kritik am Syrien-Fiasko der Gardisten werde auch bei Androhung von Strafen nicht abebben, fügte er hinzu.
Dass das Regime „in die Defensive geraten sei“ und Angst vor neuen Unruhen habe, zeige auch die Aufschiebung des umstrittenen Kopftuchgesetzes. Es sah bei Nichtbeachtung der Kopftuchpflicht hohe Geldstrafen, den Entzug des Führerscheines oder Reisepasses sowie die Sperrung von Bankkonten der Betroffenen vor. Die Strafreform hätte an diesem Freitag in Kraft treten sollen. Der für – iranische Verhältnisse – eher gemässigte Staatspräsident Masoud Pezeshkian hatte sich jedoch geweigert, die noch von seinem Amtsvorgänger Ebrahim Raisi ausgearbeitete Gesetzesvorlage zu unterschrieben.
Die zahlreichen Regimegegner im Iran interpretieren die Verschiebung des umstrittenen Kopftuchgesetzes als ein „Zeichen der Schwäche“. Es war vermutlich kein Zufall, dass sich die prominente iranische Sängerin Parastoo Ahmadi am Mittwoch dieser Woche entschlossen hatte, erstmalig ohne den obligatorischen Hedschab (Kopftuch) aufzutreten. Das nicht genehmigte Konzert in der Karawanserei von Teheran dauerte mehr als 30 Minuten. Es fand ohne Zuschauer statt, wurde aber – via You Tube – live gestreamt und erreicht so Zehntausende von begeisterten Iranern.
„Ihr Auftritt ist ein mutiges Bekenntnis zur Freiheit, zur Kunst und zur Widerstandsfähigkeit der iranischen Frauen. Ihre Stimme ist ein Symbol der Hoffnung. Sie singt aus dem Herzen einer Nation, die sich nach Freiheit sehnt“, schrieb die in Kanada lebende iranische Oppositionsaktivistin Elham Omidvari auf „X“. https://x.com/ksadjadpour/status/1867064401758490832
Ihr Auftritt bedeutete „einen weiteren Riss im Fundament von Irans verrotteter Theokratie“, analysierte Karim Sadjadpour, Iran-Experte beim Carnegie Endowment für International Peace. Mit ihren Darbietungen habe Frau Ahmadi „aussergewöhnlichen Mut gezeigt und riskiere nun jahrelang Haft“.