Nur Beirut soll „verschont“ werden

Das israelische Militär vor der „Quadratur des Kreises“: Die militärischen Fähigkeiten der Hisbollah nachhaltig schwächen und gleichzeitig einen allumfassenden Nahostkrieg verhindern.

Limassol/Beirut

„Unsere Antwort wird kommen. Und sie wird hart sein“, hatte Benjamin Netanjahu am Montag in Madschel Schams noch einmal klargestellt: „Der Staat Israel wird dies nicht hinnehmen und kann es auch nicht“. Der israelische Ministerpräsident war in das drusische Dorf auf den Golanhöhen geflogen, um die Familien zu trösten, die bei einem Raketenangriff der Hisbollah am Samstag ihre Liebsten verloren hatten.

 

Israel und sein Militär würde sein Gesicht verlieren, wenn es jetzt nicht „entschlossen“ und „entschieden“ die Hisbollah für ihre Missetaten bestrafe, betonten Militärbeobachter in Jerusalem. Vergeltungsschläge im „bisherigen Umfang“, also auf Militäreinrichtungen unweit der israelischen Nordgrenze, würden nicht mehr ausreichen.

 

Konkret heisst dies: Israel müsste gegen die ungeschriebenen Regeln des nunmehr acht Monate andauernden Abnutzungskrieges gegen die Hisbollah „verstossen“ und Hisbollah-Ziele im gesamten Libanon angreifen: So wie im Sommer 2006, als das israelische Militär 33 Tage lang den gesamten Libanon bombardierte und die Kommandozentralen der Hisbollah im Beiruter Süden dem Erdboden gleichmachte. Die Miliz verfügte damals nach eigenen Angaben über 13 000 Kurz – und Mittelstreckenraketen, die vor allem auf das Hochland von Galiläa, aber auch auf Haifa und Tiberias abgefeuert wurden.

 

18 Jahre später hatte sich die Zahl der Hisbollah-Raketen mehr als verzehnfacht. Mit ihren relativ modernen Lenkwaffen können die schiitischen Gotteskrieger Ziele in ganz Israel erreichen. UN-Experten gehen davon aus, dass die Terrormiliz in den ersten zwei Monaten eines Krieges mit Israel jeden Tag mindestens 1000 Raketen abfeuern könnte. Mit einer solchen Feuerkraft wäre das israelische Abwehrsystem Iron Dome überfordert.

 

Einen Krieg wie im Jahr 2006 will die internationale Staatengemeinschaft jedoch mit allen Mitteln verhindern. „Niemand will einen breiteren Krieg“, erklärte John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates im Weissen Haus, am Montag. Er sei sicher, dass „wir in der Lage sein werden, einen solchen Ausgang zu vermeiden“. Wie sagte Kirby nicht.

 

Laut Firas Maksad, dem Direktor für strategische Ausrichtung am renommierten Middle East Institute in Washington, soll Israel eine „mehrtägige Bombenkampagne zur nachhaltigen Schwächung der militärischen Fähigkeiten der Hisbollah“ vorbereiten. Die „roten Linien“, welche dabei nicht überschritten werden dürften, hätten die USA den Israelis bereits kommuniziert, sagte der libanesische Politikwissenschaftler im Interview mit CNN.

Um Vergeltungsschläge der Hisbollah auf Tel Aviv oder Jerusalem zu verhindern, müsse das israelische Militär auf Angriffe auf „Zentren mit hoher Bevölkerungsdichte, vor allem Beirut, verzichten“, zitierte Maksad „amerikanische Quellen“. In ihre Bemühungen den kommenden Krieg „zu begrenzen“, hätte die amerikanische Diplomatie auch Kontakt mit Teheran aufgenommen.

 

Ziel derartiger „Sicherheitsvorkehrungen“ ist es, einen „Flächenbrand“ zu verhindern, der nach Ansicht von Aroldo Lazaro, dem Leiter der UN-Friedentruppe im Libanon (UNIFIL) „die gesamte Region in eine unvorstellbare Katastrophe stürzen würde“.

 

Arabische Diplomaten in Beirut bezeichnen die amerikanische Vorstellung, einen neuen Nahostkrieg begrenzen zu können, als „irrwitzig“. Der Ablauf eines Krieges gegen Hisbollah lasse sich nicht vorausplanen. Die Miliz gelte zwar als „diszipliniert“. Niemand könne aber garantieren, dass „nach israelischen Wirkungstreffern nicht doch Tel Aviv oder Jerusalem angegriffen werde“. Wie 2006 werde es dann zu einem offenen Schlagabtausch mit verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung im Libanon und Israel kommen.

 

Auch damals hatte ein Überfall der Hisbollah unweit der Golanhöhen einen allumfassenden Krieg ausgelöst. Ginge es nach den Einwohnern von Madschal Schams soll sich dies nicht noch einmal wiederholen. Trotz ihrer von der Terrormiliz verursachten Schmerzen haben sich die auf dem Hochplateau lebenden Drusen für Frieden ausgesprochen. Israel, stellten Würdenträger der religiösen Minderheit vor den Vertretern der französischen Nachrichtenagentur klar, dürfe den Terror der Hisbollah nicht für seine Zwecke instrumentalisieren. Um ihrer Haltung Nachdruck zu verleihen, hatten Drusen am Montag den Kranz, den Netanjahu zum Gedenken an die Opfer niedergelegt hatten, gestohlen und anschliessend „entsorgt“.