Neues Konfliktpotential zwischen Israel und Syrien

Netanjahu verlangt die Entmilitarisierung von drei syrischen Provinzen – Islamisten stimmen Rückkehr der syrischen Juden zu

Limassol/Damaskus von Michael Wrase

Es ist eine Forderung mit massivem Konfliktpotential für die Beziehungen zwischen Israel und den neuen islamistischen Machthabern in Damaskus: In einer Rede vor Militärkadetten hatte der israelische Premierminister am Sonntag die „vollständige Entmilitarisierung der drei südlichen Provinzen Quneitra, Deraa und Suweida“ verlangt. Man werde weder den Milizen von Machthaber Ahmed al-Schara noch den Truppen der im Aufbau befindlichen neuen syrischen Armee gestatten, „in das Gebiet südlich von Damaskus einzudringen“, sagte Benjamin Netanjahu.

Israelische Truppen, fügte er hinzu, würden „auf unbestimmte Zeit auf syrischem Territorium bleiben“. Die israelische Armee hatte nach dem Sturz von Diktator Baschar al Assad Mitte Dezember 2024 auch die entmilitarisierte UN-Pufferzone auf den von Israel annektierten Golanhöhen sowie Gebiete südlich und östlich davon besetzt. Mit finanziellen Anreizen werde man die Zahl der jüdischen Siedler auf dem strategisch bedeutenden Hochplateau in den nächsten Jahren von 50 000 auf 100 000 verdoppeln, hatte Netanjahu vor drei Monaten auf dem Berg Hermon angekündigt. Man sei „gekommen, um zu bleiben“.

Für die neuen islamistischen Machthaber ist die sich womöglich abzeichnende israelische Besetzung oder Kontrolle der Gebiete südlich und westlich von Damaskus (Golan) nicht hinnehmbar. Explizit reagiert hat der neue syrische Interimspräsident al Schara auf die israelische Entmilitarisierungsforderung bislang aber nicht. Um seinen Unmut zum Ausdruck zu bringen, ordnete er Demonstrationen gegen Israel im Grossraum Damaskus sowie im Süden von Syrien an. Tausende gingen dort mit den syrischen Nationalfahnen auf die Strassen und skandierten anti-israelische Parolen.

Syriens Präsident al-Schara hatte wenige Tage nach seinem Einzug in Damaskus klargestellt, dass er an keinem neuen Konflikt mit Israel interessiert ist. Seine – für einen Islamisten – überaus gemässigte Einstellung bekräftigte er auch mit seinen Versprechen, den Anhängern aller Regionen die freie Ausübung ihrer religiösen Pflichten zu gestatten. Ausdrücklich genannt  wurden vor allem syrische Juden, die seit fast 3000 Jahren in Syrien leben. Zählten die jüdischen Gemeinden in Damaskus, Aleppo und Homos zu Beginn des 20.Jahrhunderts noch rund 100 000 Mitglieder, sind es heute gerade einmal acht hoch betagte Juden, die noch in der syrischen Hauptstadt leben.

Um ihre Offenheit gegenüber dem Judentum zum Ausdruck zu bringen, hatten Vertreter des neuen Regimes in Damaskus  vor einigen Wochen den Sohn und Enkel des letzten Oberrabbiners in Damaskus, Avraham Hamra, empfangen. Man versicherte ihnen, der Rückkehr syrischer Juden keine Steine in den Weg zu legen.  

Avraham Hamra hatte Syrien 1994 verlassen. Er starb sieben Jahre später in Israel. Der Besuch seiner Nachkommen wurde von westlichen Diplomaten in der Region als syrische Versöhnungsgeste gegenüber Israel interpretiert. Dennoch ist das Misstrauen auf beiden weiterhin gross- was nicht zuletzt die israelische Forderung nach Entmilitarisierung der drei syrischen Provinzen südlich von Damaskus zeigt. Dort hatten vor dem Sturz des Assad-Regimes pro-iranische Milizen Militärstellungen unterhalten.

Diese wurden inzwischen durch Verbände des neuen Regimes ersetzt. Israels Vorstoss, ihnen zu verbieten, sich innerhalb der syrischen Landesgrenzen frei zu bewegen, könnte für die neue Ordnung in Damaskus „ein Schritt zu weit sein“, kommentierte der arabische Dienst der BBC die Entmilitarisierungs-Forderung Netanjahus: „Das kann al-Schara nicht verkraften – auch wenn er im Moment noch versucht, Konfrontationen zu vermeiden“.