„Mit der Hilfe des Allmächtigen“ hat das islamistische Rebellenbündnis „Haiat Tahrir al-Scham“ (HTS) in der Nacht zum Sonntag die Befreiung von Damaskus und den Sturz von Baschar al Assad bekanntgegeben. Mit bebender Stimme verkündete ein HTS-Sprecher, das - auf deutsch übersetzt - „Komitee zur Befreiung der Levante“ (oder auch des Morgenlandes) heisst, die Freilassung aller Gefangenen. Er forderte „die syrischen Brüder und Schwestern“ auf, das „Eigentum des Staates Syrien zu bewahren“: „Lang lebe das freie Syrien“ – dann war die nur 25 Sekunden dauernde Erklärung der neuen Machthaber in Syrien zu Ende.
Zu ihren ersten Amtshandlungen gehörte die Einbindung der noch von Assad ernannten Theokraten-Regierung in die bevorstehende Zeit des Überganges. „Wir werden alles tun, um einen reibungslosen Machttransfer zu ermöglichen, erklärte der noch amtierende syrische Ministerpräsident Mohammed Ghazi al Jalali im nun von der HTS kontrollierten syrischen Staatsfernsehen: Ein hoffnungsvoller Anfang nach Ansicht von Beobachtern.
Wie reagieren die Menschen im Nahen Osten auf das Ende der 53 Jahre währenden Diktatur des Assad-Clans?
Überwiegend mit ausgelassener Freude und spontanem Jubel. Um den Sturz des Assad-Regimes zu feiern, verteilten meine direkten Nachbarn auf Zypern, eine 16-köpfige Flüchtlingsfamilie aus der Region Aleppo, klebrige Süssigkeiten an Passanten. Während Faisal, das Familienoberhaupt, ein Huhn schlachtete, telefonierte seine Frau Hala tränenüberströmt mit Verwandten in der befreiten Heimat. „Jetzt sind wir wieder ein Volk“, sagte mir Faisal mit leuchtenden Augen. Die Entwicklung im „neuen, demokratischen Syrien“ will er „ein Jahr lang beobachten: „Erst dann werden wir eine Entscheidung über eine Rückkehr treffen“.
Und Politiker und Intellektuelle im Nahen Osten?
Eher verhalten. Da sich die Regenten im Morgenland noch nicht sicher sind, ob die neuen Machthaber in der Lage sein werden, das Land nach 11 Jahren Bürgerkrieg in eine friedliche Zukunft zu führen, bieten Jordanien und der Irak „Kooperation bei der Stärkung der Sicherheit in Syrien an“. Das Regime in Katar, das zusammen mit der Türkei dem Rebellenbündnis finanziell und militärisch zur Seite steht, versprach die „volle Unterstützung dieses Prozesses in Syrien.“ Dies habe man bereits „seit dem ersten Tag getan“. Auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate versprachen dem HTS ihre Solidarität aus. Nach Informationen der in Dubai erscheinenden Khaleej Times wollen die arabischen Golfstaaten den Wiederaufbau in Syrien mit Milliardenbeträgen unterstützen.
Nur dann wird es möglich sein, die mehr als zehn Millionen Syrer, die vom Assad-Regime in die Türkei, den Libanon, Jordanien und Europa vertrieben worden, wieder in ihrer Heimat zu integrieren. Da sich die syrische Opposition sich inzwischen in „jedem Winkel des Landes ausgebreitet habe“, sollte auch die Westen diese Chancen ergreifen, und den Wiederaufbau in Syrien finanzieren, forderte der Syrienexperte Thomas van Linge.
Was sagen Iran und Russland, die langjährigen Verbündeten des Assad-Clan?
Das Teheraner Staatsfernsehen empörte sich in einem kurzen Bericht über die Verwüstung der iranischen Botschaft in Damaskus durch mutmassliche Sympathisanten des HTS. Vor Journalisten in Doha betonte Mehran Kamrava, ein Politologieprofessor an der Georgetown University in Katar, dass Iran und Russland „die Zeichen der Zeit erkannt und eingesehen hätten, dass die weitere Unterstützung des syrischen Staates ein aussichtsloses Unterfangen ist“. Mit dem Regimewechsel in Damaskus, so Kamrava weiter, sei die von Iran angeführte „Achse des Widerstandes nun erloschen“. Teheran könnte nun auf andere „wahrscheinlich extremere Mittel der Abschreckung gegen Israel und die USA zurückgreifen“. Dass es sich dabei um den Bau einer Atombombe handeln könnte, sagte der Professor nicht. Entsprechende Befürchtungen gibt es bekanntlich seit langem in Israel und den USA.
„Ein Krieg hat bekanntlich viele Episoden, von denen einige unerfreulich und schmerzhaft sein könnten“, kommentierte der Putin-Vertraute Alexander Dugan den Machtwechsel in Damaskus. Das bedeute aber nicht, dass Russland jetzt (Syrien) aufgeben werde.
Kann man den neuen islamistischen Machthabern in Damaskus wirklich trauen?
Ob das - vor allem in der arabischen Welt - mit vielen Vorschusslorbeeren bedachte islamische Rebellenbündnis Syrien in eine bessere Zukunft führen wird, ist keinesfalls sicher. Abu Mohammed al-Julani, der neue starke Mann in Syrien mit Kaida-Vergangenheit, hat in Interviews mit westlichen Medien jedenfalls versprochen, Syrien zu einem freien Ort für alle Völker und Religionen zu machen.
Seinen Worten müssen jetzt Tagen folgen. Vor allem unter der christlichen und alawitischen Minderheit ist die Angst gross, dass al-Julani ein islamisches Emirat nach dem Vorbild der Taliban proklamieren könnte.
Die israelische Tageszeitung Haaretz hatte in der letzten Woche über die „in israelischen Regierungskreisen herrschende Besorgnis über die „Kernideologie“ der syrischen Rebellen“, dem Jihadismus, berichtet. Das israelische Militär plane daher, strategische wichtige Waffenlager anzugreifen, um zu verhindern, dass sie in die Hände der Rebellen fallen. Am Sonntag meldete der Fernsehsender Al Jazeera einen israelischen Luftangriff auf eine mutmassliche Produktionsstätte für chemische Waffen in Syrien aus der Assad-Zeit.