Die hektischen Bemühungen der USA und ihrer europäischen Verbündeten um eine Deeskalation der Lage im Nahen Osten brachten aus iranischer Sicht das Fass zum überlaufen. In einer gemeinsamen Erklärung hatten Washington, Paris und Berlin in der Nacht zum Dienstag das Regime in Teheran aufgefordert, „seine fortgesetzten Drohungen mit einem militärischen Schlag auf Israel zu unterlassen“ und eine Waffenruhe im Gazastreifen zu erwirken. Derartige Forderungen, echauffierte sich Nasser Kanaani, der Sprecher des iranischen Aussenministeriums, „entbehren jeglicher politischen Logik und widersprechen zudem den Grundsätzen des Völkerrechtes“.
Die europäischen Länder hätten „keinerlei Einwände gegen die internationalen Verbrechen Israels“ erhoben. Gemeint waren die Tötungen von Hamas-Chef Ismail Hanija in Teheran und Fuad Shukr, den „Stabschef“ der Hisbollah, in Beirut vor zwei Wochen. Stattdessen würden sie nun vom Iran „in unverschämter Weise“ verlangen, auf die Verletzung seiner Souveränität und territorialen Integrität zu verzichten, wetterte Kanaani und betonte: „Wir sind fest entschlossen, Israel abzuschrecken“.
Wie und wann dies von statten gehen soll, ist weiterhin höchst unklar. „Noch in dieser Woche“, orakelte John Kirby, der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der USA, am Montag, um fast im gleichen Atemzug wieder zurück zu krebsen: „Es ist schwierig, zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen, wie ein Angriff des Irans und seiner Stellvertreter aussehen könnte“. Um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein, haben die USA mit einem zusätzlichen Flugzeugträger und einem atomgetriebenen U-Boot ihre Militärpräsenz im östlichen Mittelmeer und im Persischen Golf noch einmal verstärkt.
Die Botschaft ist klar: Sollten es Iran und seine Verbündeten wagen, Israel anzugreifen, könnte das US-Militär iranische Militärstellungen sowohl aus der Luft als auch mit seegestützten Marschflugkörpern angreifen. Angesichts der gewaltigen Drohkulisse, die von den USA im Morgenland aufgebaut wird, ist über konkrete iranische Vorbereitungen für Vergeltungsschläge relativ wenig bekannt. Iranische Drohnen – und Raketeneinheiten hätten entsprechende Anweisungen erhalten, zitierte das US-Nachrichtenportal Axios israelische und amerikanische Beamte.
Aus dem Libanon weiss man, dass die Hisbollah „binnen weniger Minuten auf Angriffsmodus“ umstellen könnte. Bis zu 4000 Raketen am Tag könnten in den ersten zwei Wochen eines Krieges auf Israel abgefeuert werden, befürchten westeuropäische Militärexperten in Israel. HisbollahFührer Nasrallah hatte sich in seiner letzten Rede allerdings erklärt, dass er zum gegenwärtigen Zeitpunkt „psychologische Kriegsführung“ gegen Israel vorziehen würde. Die Angst in Israel vor einem Vergeltungsschlag sei bereits „Teil der Bestrafung“.
Iran, so scheint es zumindest, reicht Säbelrassen allein dagegen nicht mehr aus. Die Islamische Republik wurde von Israel mit der Ermordung von Hamas-Führer Hanija in einem staatlichen Teheraner Gästehaus schwer gedemütigt. Um seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen, glauben die meisten Analysten in der Region, müsste der islamische Gottesstaat jetzt reagieren: Nicht mit fortgesetzten Verbaldrohungen, sondern mit massiven Raketen – und Drohnenschlägen, die, so die Forderungen iranischer Militärkommandanten, weit über die Operation „True Promise“ vom 13.April dieses Jahres hinausgehen müssten.
Iran hatte an diesem Tag zum ersten Mal überhaupt den jüdischen Staat mit 330 Raketen und Drohnen angegriffen, von denen die meisten von der israelischen Luftabwehr sowie von der amerikanischen, jordanischen und britischen Luftwaffe abgeschossen wurden. Aber auch andere Szenarien sind denkbar. In einem am Montag geführten Gespräch mit der Washington Post deutete Ali Asghar Shafieian, der Medienberater des neu gewählten iranischen Präsidenten Masoud Pezeshkian, an, dass es “wahrscheinlich keine Wiederholung der April-Attacken“ geben werde.
Die Tötung von Ismail Hanija, sagte Shafieian, sei eine „nachrichtendienstliche Mission“ gewesen. Die iranische Antwort werde daher „von ähnlicher Natur und auf ähnlichem Niveau sein“.