„Iran kann jetzt enthauptet werden“

Im Iran hat nach dem Tod von Hanija eine grosse Verhaftungswelle begonnen. Ziel ist es, vor dem angekündigten Vergeltungsschlag gegen Israel die vielen Sicherheitslücken zu schliessen.

Limassol/Teheran von Michael Wrase

Es war eine „Erfolgsmeldung“, die – rückblickend – an Peinlichkeit kaum noch überbieten ist: Vier Tage vor der gezielten Tötung von Ismail Hanija hatte der iranische Geheimdienstminister, Seyed Esmail Khatib lokale Medienvertreter zu sich gebeten. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht verkündete er ihnen stolz, dass man „ein Netzwerk von Mossad-Eindringlingen zerschlagen und zerstört habe“. Diese hätten „einige unserer Wissenschaftler ermordet und unsere wichtigsten Einrichtungen sabotiert“.

 

Nach der Ermordung des Hamas-Führers müssen die Iraner wieder von vorne anfangen. Denn die tödliche Explosion im Nord-Teheran Nobelbezirk Jamaran bedeutet für die iranischen Sicherheitsdienste die grösstmögliche Katastrophe, die man sich vorstellen könne. „Die Wahrnehmung, dass der Iran weder sein Heimatland noch seine wichtigsten Verbündeten schützen kann“, fasst es Ali Vaez, der für Iran zuständige Direktor der International Crises Group, nüchtern zusammen, „könnte für das iranische Regime fatal sein, denn es signalisiert seinen Feinden im Grunde, dass sie die Islamische Republik zwar nicht stürzen, aber enthaupten können“.

 

Entsprechend tief sitzt der Schock in der iranischen Hauptstadt. Nach amerikanischen und saudischen Medienberichten soll der iranische Geheimdienst inzwischen alle Angestellten des Gästehauses, in dem Hanija ums Leben kam, verhaftet haben und alle ihre elektronischen Geräte zur Auswertung beschlagnahmt haben. Auch hochrangige Militär – und Geheimdienstbeamte, die für die Sicherung von Teheran zuständig waren, seien unter Arrest gestellt worden.

 

Die Ermittlungen konzentrieren sich auch auf die beiden zivilen Flughäfen von Teheran, wo iranische Sicherheitsteams begannen, die Überwachungskameras in den Abflug – und Ankunftshallen auszuwerten. Laut New York Times geht der iranische Geheimdienst offenbar davon aus, dass die Attentäter noch im Lande sind.

Diese sollen nach Erkenntnissen der Zeitung den Sprengsatz, der Hanija tötete, bereits vor zwei Monaten im Gästehaus der iranischen Regierung deponiert haben, ganz offensichtlich im richtigen Zimmer. Um nicht als komplette Versager dazustehen, widersprachen die iranischen Behörden dieser Darstellung. Hanija, behauptete ein Sprecher der iranischen Revolutionsgardisten, sei vielmehr von einem „Kurzstreckengeschoss mit einem Sprengkopf von etwa sieben Kilogramm getötet worden, das von ausserhalb der Gästeunterkunft abgefeuert wurde“. Wirkliche Beweise für die beiden Theorien gibt es bisher nicht.

 

Was bleibt, konstatiert die New York Times, ist die „erschütternde Erkenntnis, dass niemand im Iran selbst am Tag der Präsidentenvereidigung, wenn erhöhte Sicherheitsvorkehrungen gelten, wirklich sicher ist“. Nicht einmal Revolutionsführer Ali Khamenei, der Hanija ganz besonders nahestand. Der Ayatollah war während der Trauerzeremonie für den Hamas-Führer am Freitag von einem noch engeren Kreis von Leibwächtern umgeben und verliess, sichtlich verunsichert, die Beerdigung nach kurzer Zeit.

 

Khamenei hatte unmittelbar nach dem Attentat auf Hanija am Mittwochmorgen direkte Vergeltungsschläge gegen Israel angekündigt. An diesem könnten sich auch die Verbündeten der Iraner im Libanon, Syrien, Irak und Jemen beteiligen. Mehr als vier Tage sind seither vergangen. Während Israel und seine Alliierten sich für mögliche Raketenschläge aus der Islamischen Republik rüsten, dürfte Iran mit Hochdruck dabei sein, die vielen Sicherheitslücken, die man nach der gezielten Tötung von Hanija entdeckt hat und vermutlich noch entdecken wird, zu schliessen.

 

„Die verheerenden Sicherheitsverstösse erfordern verschiedene Massnahmen und Strategien“, sagte Sasan Karimi, ein in Teheran lebender Analyst in einem Telefoninterview. Angaben, wie lange es dauern könnte, bis der Iran sicherheitstechnisch wieder neu aufgestellt ist, machte er nicht. Abzuwarten bleibt, ob das Land es wagen wird, ohne die Schliessung der vielen Sicherheitslücken Vergeltungsschläge durchzuführen, die einen neuen Flächenbrand in der Region auslösen könnten. Es könnte am Ende wieder „so nackt“ dastehen, wie in der Nacht zum letzten Mittwoch.