Die gezielte Tötung von Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah hat im Nahen Osten ein politisches Erdbeben ausgelöst. Der Tod des Geistlichen ist nicht nur für die schiitische Terrorgruppe, sondern auch für Iran ein schwerer Rückschlag. „Er war der Kitt, der die Hisbollah zusammengehalten hat", sagte Mohammed Hage Ali von „Carnegie Middle East Center" in Beirut, nachdem Israel am Samstagmorgen den Tod des 64jährigen bekanntgegeben hatte.
Könnte die Gruppe nach dem „Enthauptungsschlag" der israelischen Luftwaffe nun auseinanderfallen?
„Der Tod von Nasrallah ist ein schwerer Schlag für die Moral der Gruppe. Aber zerbrechen wird sie daran nicht", betont Lina Khatib, Associate Fellow am Londoner Chatham House. Hisbollah sei nicht nur eine straff organisierte politische und militärische Gruppierung, sondern, wie Hamas, „auch eine Ideologie, die nicht zerstört werden kann". Die schiitische Miliz werde nach dem Tod ihres Anführers unter einer „vorübergehenden organisatorischen Lähmung" leiden, heisst es in einer Analyse des „Institute fort the Study for War": „Alle von Israel getöteten Kommandeure haben jedoch Stellvertreter, die in der Lage sein sollten, auch unter äusserst schwierigen Umständen die Führung zu übernehmen".
Gibt es schon einen Nachfolger für Nasrallah?
Nasrallahs Aufgaben wird zunächst sein Stellvertreter, Naim Quassem, ein schiitischer Geistlicher aus dem Süd-Libanon übernehmen. Als neuer Generalsekretär der Hisbollah ist Sayyed Haschem Safieddine, im Gespräch. Der 58jährige unterhält enge Beziehungen zum Iran. Sein Sohn ist mit einer Tochter des iranischen Revolutionsgardisten-Generals Qassem Soleimani verheiratet, der 2020 bei einem US-Angriff bei Bagdad getötet wurde. Safieddine hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit Nasrallah, dessen Cousin mütterlicherseits. Er sei sehr beliebt und habe „viel Autorität", beschreibt Amal Saad, Hisbollah-Forscherin an der Cardiff University, den „wahrscheinlichen Nachfolger von Nasrallah".
Unter dem Schock des Todes ihres Führers hat Hisbollah bisher keine konkreten Drohungen ausgestossen, sondern lediglich die „Fortsetzung des Widerstandskampfes" bekräftigt. Viele Beobachter rechnen dennoch mit einer weiteren Gewalteskalation?
Hisbollah muss sich nach dem Tod ihres charismatischen Führers erst einmal „neu sortieren". Das kann einige Tage dauern, wenn nicht gar länger. Die Gruppe wird versuchen, die bevorstehende Trauerfeier für Nasrallah als eine eindrucksvolle Demonstration der politischen und militärischen Entschlossenheit und Stärke zu gestalten. Danach wird man klarer sehen, welche Strategie eingeschlagen wird. Vieles hängt auch vom weiteren Vorgehen der israelischen Armee ab, die einen von der internationalen Staatengemeinschaft angestrebten Waffenstillstand im Libanon weiterhin ablehnt und ihre extrem heftigen Bombardements fortsetzt.
Hisbollah kann ihre weitere Marschrichtung vermutlich erst nach Ansprache mit Iran bestimmen. Wie hat Teheran auf den Verlust ihres engsten Verbündeten im Libanon reagiert?
Wütend und entsetzt. Analysten, wie Fabian Hinz vom „Institute for Strategic Studies" halten jedoch eine militärische Intervention des Iran zugunsten der Hisbollah für „sehr unwahrscheinlich". Der Iran habe immer wieder klar gemacht, dass für ihn das Überleben des islamischen Regimes absolute Priorität habe, sagte Hinz der „Deutschen Welle". Dementsprechend sei Teheran nicht bereit, sich
für die militärische Unterstützung selber in substanzielle Gefahr zu bringen, also von Netanjahu bereits angedrohte israelische Gegenschläge zu riskieren. Für wahrscheinlicher als ein militärisches Eingreifen hält Burcu Özcelik vom „Royal United Services Institute" in London fortgesetzte Waffenlieferungen an die Hisbollah sowie die Entsendung von Beratern.
Israel will mit seinen massiven Luftangriffen permanente Ruhe in Nord-Galiläa, also im Norden Israels, und damit die Rückkehr von knapp 70 000 Israelis erzwingen. Wird dies gelingen?
Israel hat den Gazastreifen in Trümmer gelegt. Ein Plan für die Zukunft des kleinen Küstenstreifens wurde bis heute nicht präsentiert. Gleiches gilt für den Libanon. Seit 1978 führt die israelische Armee
dort Kriege, damals noch gegen die PLO von Yassir Arafat. Das Resultat der vielen Interventionen war der Aufstieg der Hisbollah zur stärksten nicht-staatlichen Kraft im Nahen Osten, einer Organisation, die aus der Feindschaft mit Israel massives politisches Kapital geschlagen hat. Mit der Eliminierung von politischen Führern wie Nasrallah sowie der Verwüstung von Städten und Dörfern wird Israel im Libanon keine Partner für eventuelle politische Lösungen finden. Die Gräben zwischen den beiden Ländern werden sich weiter vertiefen. Ruhe in Nord-Galiläa wird es daher sobald nicht geben.
Nasrallah war im Libanon, einem Staat mit 18 Religionsgemeinschaften, keinesfalls unumstritten. Welche Auswirkungen wird sein Tod für das kleine Land haben?
Nasrallah hat im Libanon eine Art Staat im Staate aufgebaut. Der Geistliche war mächtiger als der Präsident und der Armeechef. Er hatte in allen Fragen das letzte Wort. Nicht wenige Libanesen machten ihn für das fortgesetzte Leid und Elend im Libanon verantwortlich. Nach seinem Tod könnten vor allem die Sunniten und Christen versuchen, den Würgegriff der Hisbollah zu lockern. Vor diesem Hintergrund befürchten Beobachter befürchten neue sektiererische Konflikte.