Ein Vorstoss bis zum Litani-Fluss?

Israel hat im Süd-Libanon einen „begrenzten und gezielten“ Bodeneinsatz begonnen. Die Angriffe könnten nicht ausreichen, um die „Angriffsstrukturen der Hisbollah zu zerlegen“

Limassol/Beiruth von Michael Wrase

Schwarze Regenwolken zogen über das Hochland von Galiläa, als israelische Bodentruppen in der Nacht zum Dienstag die Grenze zum Süd-Libanon überschritten. Die Operation war seit Tagen erwartet worden und sie ist aus der Perspektive der Israelis auch notwendig. Denn mit der Luftwaffe allein wird es den Streitkräften des jüdischen Staates nicht gelingen, die Raketenangriffe der Hisbollah dauerhaft zu stoppen. Diese Ansicht teilt auch das amerikanische Verteidigungsministerium, das den Einmarsch als eine „Selbstverteidigungsoperation“ bezeichnete. Er werde seinen israelischen Amtskollegen Yoav Gallant „beim Zerlegen der Angriffsinfrastruktur“ der pro-iranischen Miliz entlang der Grenze zum Libanon unterstützen, sagte US-Verteidigungsminister  Lloyd Austin am Montagabend in Washington.

Damit ist klar, dass Israel im Süd-Libanon nicht nur mit politischer, sondern auch mit militärischer Rückendeckung der USA operiert. Die israelische Militärführung bezeichnete den Einmarsch in das Grenzgebiet des nördlichen Nachbarn als einen „begrenzten und gezielten Bodeneinsatz“ – was abzuwarten bleibt.

Die israelische Luftwaffe hatte in den letzten Tagen mutmassliche Raketenstellungen, Munitionslager und Bunker ganz massiv bombardiert. Hunderte von Menschen, darunter auch zahlreiche Zivilisten, sollen dabei ums Leben gekommen sein. Die Luftangriffe, die auch am Dienstagmorgen fortgesetzt wurden, dienten zur Vorbereitung der israelischen Bodenoffensive, dessen genaue Stossrichtung noch unklar ist. Libanesische Zivilisten sollten in den kommenden Tagen die Region südlich des Litani-Flusses meiden, der gut 25 Kilometer nördlich der israelisch-libanesischen Grenze ins Mittelmeer fliesst, hiess es in einer auf X verbreiteten Warnung der israelischen Militärführung.

Um die Rückkehr jener 60 000 Israelis nach Galiläa zu ermöglichen, die in den letzten Monaten vor den Raketen der Hisbollah geflüchtet waren, wird es vermutlich nicht ausreichen, „nur die Angriffsstrukturen entlang der Grenze zu zerlegen“, wie dies der amerikanische Verteidigungsminister herausstellte. Die schiitische Miliz verfügt über Raketen mit Reichweiten bis zu 300 Kilometern, die bislang nicht eingesetzt wurden, vielleicht auch nicht konnten, weil sie Israel bereits zerstört hat. Doch sicher ist das nicht.

Eingesetzt in den letzten Monaten hatte die Extremistenorganisation vor allem Kurzstreckenraketen vom Typ Katajuscha, die tatsächlich im Grenzgebiet abgefeuert wurden. Sollten diese Regionen von der israelischen Armee erobert und die dort befindlichen Stellungen zerstört werden, wäre die Sicherheit von Nord-Israel noch längst nicht garantiert. Auf dieses offensichtliche „Dilemma“ der Israelis setzt die Hisbollah. Ziel der Gruppe wird es sein, die israelische Armee zu tief wie möglich in die für den Guerillakampf prädestinierte Hügellandschaft des Süd-Libanons hinein zu locken. Je weiter die israelische Armee nach Norden vorstösst, desto leichter wird es für die Hisbollah sein, sie zu bekämpfen, falls sie nach den schweren Luftschlägen und so verheerenden Pager-Attacken noch dazu in der Lage ist. Auch dies bleibt abzuwarten.

Für Israel ist die Verlockung gross, nach den vermutlich schnellen Erfolgen im Grenzgebiet in die „Iklim al Tufah“-Region – deutsch: das Gebiet der Apfelbäume – vorzustossen, wo sich jene Bunkeranlagen der Hisbollah befinden sollen, die auch von bunkerbrechenden „Eintönnern“ – wie sie bei der Tötung von Hassan Nasrallah verwendet wurden – bisher nicht zerstört werden konnten. „Es sei immer relativ einfach Kriege zu beginnen, aber umso schwieriger, diese zeitnah zu beenden“, betonten Militäranalysten am Dienstag in der „Morning Show“ des Fernsehsenders Al Dschasira. Trotz der gewaltigen Erfolge der letzten Tage dürfe die israelische Armee die schwer angeschlagene Hisbollah jetzt nicht unterschätzen. Schliesslich kämen die meisten Hisbollah-Kämpfer genau aus jenen Dörfern, welche die israelische Armee jetzt angreife.

Die schwer verwundete Führung der Hisbollah hat auf die Bodenoperation der Israelis bisher nicht reagiert. Der geschäftsführende Anführer der Gruppe, Naim Qassem, bekräftigte am Montag in einer Durchhalterede die Bereitschaft seiner Organisation, sich einer israelischen Bodenoffensive entschlossen entgegenzustellen. Erste Berichte aus dem Süd-Libanon deuten daraufhin, dass die Gruppe noch immer in der Lage ist, den Norden von Israel massiv zu beschiessen.