Es war nichts anderes als ein Offenbarungseid, den der iranische Staatspräsident einige Tage vor Weihnachten im Teheraner Staatsfernsehen abgelegt hatte. „Wir stehen vor einem sehr grossen Ungleichgewicht in den Bereichen Gas, Strom, Energie, Wasser, Geld und Umwelt“, versuchte Masoud Pezeshkian die schwerste Energiekrise seit der Islamischen Revolution von 1979 zu erklären. Angesichts einer seit Anfang Dezember andauernden Kältewelle stand das Regime vor der Wahl, die Gasversorgung von Privathaushalten drastisch zu reduzieren oder die Versorgung von Kraftwerken, die Strom erzeugen, zu unterbrechen.
In Teheran entschied man sich für Letzteres, da eine Unterbrechung der Erdgasversorgung für Privathaushalte mit ernsthaften Sicherheitsrisiken verbunden wäre und die meisten Iraner von ihrer wichtigsten Wärmequelle abschneiden würde. „Die Regierung will die Wärmeversorgung der Haushalte um jeden Preis verhindern“, sagte Seyed Hamid Hosseini, ein Mitglied des Energieausschusses der iranischen Handelskammer, gegenüber der New York Times. Mit landesweiten Stromabstellungen bemühe sich das Teheraner Regime, die entstandenen Schäden zu begrenzen. Hosseini verglich die Situation im Iran „mit einem Pulverpass, das explodieren und Unruhen im ganzen Land auslösen kann“.
Erst vor einer Woche hatte das staatliche Stromversorgungsunternehmen „Tavanir“ die Hersteller von Stahl, Glas, Lebensmitteln und Medikamenten vor „weitreichenden Stromausfällen“ gewarnt. Diese könnten mehrere Wochen, wenn nicht gar länger, andauern. Die Situation sei katastrophal. Eine Krise von diesem Ausmass habe die iranische Industrie noch nie erlebt, sagte ein Sprecher des iranischen Industriellenverbands vor Journalisten in Teheran.
Für den eklatanten Gasmangel machen die iranischen Behörden die gegen das Mullah-Regime verhängten internationalen Sanktionen im Banken – und Energiesektor verantwortlich. Sie wurden in erster Linie deshalb verhängt, um das iranische Atom – und Raketenprogramm zu stoppen. Verschärft worden sei die Krise durch die im Februar erfolgte Sprengung von zwei Gaspipelines, hinter der Israel vermutet wird.
Iranische Analysten, die nicht mit ihrem Namen zitiert werden wollen, führen die derzeitige Krise dagegen vor allem auf Missmanagement, Korruption sowie die extrem günstigen Preise für Erdgas zurück, welche einen verschwenderischen Verbrauch von Heizenergie begünstigen würden.
Bereits seit November wird im Iran in Privathaushalten jeden Tag der Strom für mindestens zwei Stunden abgeschaltet. In der vergangenen Woche wurden auch in Schulen, Universitäten, Banken und Regierungsstellen die Stecker gezogen. Um Energie zu sparen, wurden alle Hochschulen bis zum Semesterende Mitte Januar zum Online-Unterricht verpflichtet. In Regierungsbüros dürfen die Angestellten zwei Stunden früher nach Hause gehen. Sogar die Strassenbeleuchtung wurde vor einigen Tagen abgestellt.
Die immer häufigeren Stromausfälle haben den Unmut unter der Bevölkerung weiter verstärkt. Wütend weisen die Menschen daraufhin, dass das Regime mit zweistelligen Milliardenbeträgen das gestürzte Assad-Regime, die Hisbollah und andere Gruppen de sogenannten „Achse des Widerstandes“ unterstützt habe, anstatt für die dringend notwendige Modernisierung des Energiesektors zu sorgen. Grössere Protestmärsche, heisst es in Teheran, würden nur durch die bittere Winterkälte verhindert.
Um beim Energiesparen mit gutem Beispiel voran zu gehen, liess Staatspräsident Pezeshkian am letzten Wochenende in seinem Regierungspalast sämtliche Lichter ausknipsen. In seiner Fernsehansprache kurz vor Weihnachten bat der als liberal eingestufte Politiker „alle lieben Menschen des Landes“, die Heizungen in ihren Wohnungen um mindestens zwei Grad herunterzudrehen. Nur dann könnten „in dieser Kältewelle alle Menschen mit Energie versorgt werden“, sagte Pezeshkian, der mit einer hoch geschlossenen Daunenjacke vor den Fernsehkameras erschienen war.