„Ein echtes Gefühl von Angst und Unbehagen“

Sechs Fragen und Antworten nach dem Inkrafttreten der Waffenruhe zwischen der Hisbollah und Israel.

Limassol/Beiruth von Michael Wrase

Nach mehr als einem Jahr Krieg zwischen Israel und der Hisbollah ist am frühen Mittwochmorgen eine von den USA vermittelte Waffenruhe in Kraft getreten. Diese gilt zunächst für 60 Tage. Alle israelischen Truppen sollen in dieser Zeit aus dem Süden des Libanons abgezogen werden. Zeitgleich soll sich die Hisbollah hinter den Litani-Fluss zurückziehen, zwischen 20 und 30 Kilometer nördlich der Grenze zu Israel. Das Gebiet soll künftig von der libanesischen Armee und UNIFIL-Friedenstruppen kontrolliert werden. Überwacht werden soll die Waffenstillstandsvereinbarung von den USA und Frankreich. Erklärtes Ziel ist ein „dauerhaftes Ende der Gewalt“.

Wird dies gelingen?

Die jetzt erzielte Übereinkunft stützt sich im Wesentlichen auf die UN-Resolution 1701, mit der der Krieg zwischen Israel und der Hisbollah im Sommer 2006 beendet wurde. Damals – wie auch heute  - sollten Friedenstruppen der Vereinten Nationen sowie die libanesische Armee ein Wiedererstarken der Hisbollah verhindern. Dies misslang. Vor Kriegsbeginn im November 2023 hatte die Hisbollah ihr Raketenarsenal auf mehr auf 100 000 Lenkwaffen versechsfacht. Der BBC-Sicherheitsexperte Frank Gardener hält die libanesische Armee „noch immer für viel schwächer als die Hisbollah“. Auch die UNO-Truppen sind der durch den Konflikt massiv geschwächten Hisbollah weiterhin unterlegen. Die Hoffnungen stützen sich daher auf die USA, die die Umsetzung der Waffenruhe garantieren wollen.

Wie haben die Konfliktparteien auf das Abkommen reagiert?

Sowohl Israel wie auch die Hisbollah fühlen sich als „Sieger“. Die Armee habe „alle ihre strategischen Ziele erreicht“, erklärte ein Militärsprecher in Tel Aviv. Die Terrorgruppe sei „um Jahre zurückgerufen“. Auch die Hisbollah sieht sich als „Gewinner“. Zur Bekräftigung ihrer Behauptungen hatte die israelische Luftwaffe am Dienstag noch einmal Ziele in Beirut ganz massiv angegriffen. Die pro-iranische Terrormiliz feuerte wenige Stunden vor dem Inkrafttreten der Waffenruhe auf das Hochland von Galiläa sowie die Region von Haifa Dutzende von Raketen ab.

Was sagen die Menschen in Israel und im Libanon über die Waffenruhe?

Laut einer von der BBC zitierten Meinungsumfrage vom Dienstag sind 80 Prozent der Anhänger Netanjahus sowie die Bewohner von Nord-Israel gegen die Waffenruhe. Das „Kapitulationsabkommen bereitete ihnen ein „echtes Gefühl von Angst und Unbehagen“. Weder die libanesische Armee noch die Amerikaner seien in der Lage, die Sicherheit in der Region wiederherzustellen. Itamar Ben-Gvir, der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, sprach von einer „verpassten historischen Gelegenheit“, die Hisbollah endgültig zu vernichten.
Im Libanon überwiegt dagegen im Moment ein Gefühl der Erleichterung. Zehntausende von Libanesen fuhren bereits im Morgengrauen, kurz nachdem die Waffenruhe in Kraft getreten war, zurück in den Libanon. Viele von ihnen spreizten zwei Finger zum „Victory-Zeichen“. Lange wird ihre Euphorie vermutlich nicht halten: 800 000 Libanesen wurden durch den Krieg in ihrem Land vertrieben; mehr 3700 Menschen getötet und etwa 15 000 verletzt. Um den Wiederaufbau zu bewältigen, braucht das bitterarme Land massive internationale Hilfe.

Wie geschwächt ist die Hisbollah nach einem Kriegsjahr wirklich?

Nach der Tötung ihrer Führungsriege, darunter auch der langjährige Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah, schien die Terrormiliz vor einem vollständigen Kollaps zu stehen. Nach Einschätzung von Heiko Wimmen von der International Crises Group in Beirut konnte sie sich inzwischen aber erholen. Hisbollah sei „geschwächt“, analysiert Andreas Krieg vom Londoner Kings College. Ihre „strategischen Raketenfähigkeiten seien aber weiterhin intakt“. Gleiches gelte für die „Infanteriekamptruppen“ der Hisbollah.

Was bedeutet der Waffenstillstand zwischen der Hisbollah und Israel für Iran?

Iranische Regierungsvertreter haben die Waffenruhe als einen „Sieg der Hisbollah“ begrüsst und in den Staatsmedien entsprechend gefeiert. Tatsächlich gehört die Islamische Republik wohl zu den grossen Verlierern des Konflikts. Vor allem unter den Gefolgsleuten der Hisbollah scheint das Regime in Teheran massiv an Ansehen verloren. „Viel zu spät und viel zu halbherzig“ habe Iran die Konfrontation mit Israel gesucht und die israelischen Gegenschläge im Oktober ohne Gegenwehr akzeptiert, „praktisch kapituliert“. Auch die Verbündeten der Iraner in Syrien, Irak und Jemen stellen die Bündnistreue der Mullahs inzwischen in Frage.

Wird es jetzt nun auch im Gazastreifen zu einer Waffenruhe kommen?

Wohl nicht sobald. Europäische Diplomaten im Nahen Osten befürchten, dass die israelische Armee ihre Angriffe auf die Hamas jetzt verstärken könnte, um wenigstens im Gazastreifen jenen „allumfassenden Sieg“ zu erzielen, der im Libanon nicht erreicht wurde. Laut „Jerusalem Post“ soll die Biden-Administration vor dem Inkrafttreten der Waffenruhe im Libanon massiven Druck auf Israel ausgeübt, erstmals sogar mit der Verzögerung von Waffenlieferungen gedroht haben. Einen solchen Druck soll es bezüglich des Gazastreifens nicht geben.