„Die Mullahs haben jetzt richtig Angst“

Frauen-Power und die Folgen: Im Iran ist das umstrittene Kopftuchgesetz vorerst auf Eis gelegt worden. Eine Umsetzung hätte landesweite Unruhen ausgelöst.

Limassol/Teheran von Michael Wrase

Im Iran ist das umstrittene  “Kopftuchgesetz” endgültig auf Eis gelegt worden. Die enorme politische Sprengkraft des  sogenannten “Dekret zur Unterstützung der Familie durch die Förderung der Kultur der Keuschheit und des Hidschabs” (dem persischen Wort für Kopftuch) war vom iranischen Staatspräsidenten Massud Peseschkian schon in der letzten Woche erkannt worden. Trotz massiver Kritik der konservativen Hardliner legte der als relativ moderat geltende Politiker sein Veto gegen das Gesetz ein, das Mitte Dezember von der Regierung umgesetzt werden sollte – und schaltete den Nationalen Sicherheitsrat ein.

 

Das Gremium muss das Gesetz nun erneut überprüfen lassen. Bis dahin werde die Vorlage auch gestoppt, sagte der iranische Vizepräsident  Schahram Dabiri dem Internetportal der Tageszeitung  „Hammihan“. Eine Umsetzung sei „nicht zweckmässig“, sagte der iranische Parlamentsabgeordnete Javad Nikbin und betonte: „Die Menschen im Iran dürfen zum gegenwärtigen Zeitpunkt verärgert werden“.

 

Es gilt als sicher, dass im Iran neue landesweite Unruhen ausgebrochen wären, wenn das Kopftuchgesetz dieser Tage tatsächlich umgesetzt worden wäre. Es sieht bei Verstössen nicht nur hohe Geldstrafen vor. Iranerinnen, die die Bussen nicht bezahlen wollen, hätten den Einzugs ihres Führerscheins, Reisepasses sowie die Sperrung ihrer Kreditkarten riskiert. Von dem drakonischen Strafenkatalog betroffen wären auch Unternehmen und normale Ladengeschäfte gewesen, die man ebenfalls zur Durchsetzung der Hidschab-Pflicht hatte zwingen wollen. Sie sollten Videoüberwachungssysteme mit Gesichtserkennungstechnologie installieren und die Aufnahmen mit den Strafverfolgungsbehörden teilen.

 

Für Staatspräsident Peseschkian bedeutet die Blockade des Kopftuchgesetzes ein Etappensieg im internen Machtkampf gegen die islamischen Hardliner. Mit kaum verhohlener Wut müssen sie nun zur Kenntnis nehmen, dass das Tragen des Kopftuchs, dem wichtigsten politischen Symbol der Islamischen Revolution von 1979, in absehbarer Zeit wohl nicht mehr durchsetzbar ist.

Schritt für Schritt haben sich die iranischen Frauen das Recht, das Kopftuch zu tragen oder darauf zu verzichten, in den letzten zwei Jahren erkämpft. Hunderte verloren bei den Massenprotesten im Herbst 2022 unter dem Motto „Frau, Leben, Freiheit“ ihr Leben. Tausende wurden verhaftet. Trotz der entsetzlichen Gewalt konnte das Mullah-Regime seine Ziele am Ende nicht erreichen: Die Zahl der Frauen im Iran, die das Kopftuch gar nicht oder nur lose am Hinterkopf drapiert trägt, wird ständig grösser.

 

Wie mutig – und auch politisch motiviert - die iranischen Frauen inzwischen sind, hatte die iranische Sängerin Parastoo Ahmadi in der letzten Woche demonstriert: Ohne Kopftuch, im leicht ausgeschnittenen Abendkleid, war die 27jährige in einer historischen Karawanserei im Süden von Teheran aufgetreten. Die von vier Musikern begleitete Parastoo sang – noch – ohne Publikum. Das „live“ auf You Tube gestreamte Konzert – mit Liedern des Volksaufstandes von 2022 -  haben inzwischen mehr als zwei Millionen Iranerinnen und Iraner abgerufen.

 

Drei Tage nach dem Konzert war die mutige Iranerin verhaftet – und schon12 Stunden später wieder freigelassen worden. Die iranischen Behörden wollten die neue Ikone des iranischen Widerstandes nicht zu einer Märtyrerin machen und damit den Widerstand gegen ihre Willkürherrschaft noch weiter anfachen.

 

Ihr „Nachgeben“ wird von der iranischen Opposition als Schwäche interpretiert. „Nach der verheerenden Niederlagen der Revolutionsgardisten im Libanon und Syrien ist das Regime auch im Iran selbst in die Defensive geraten“, sagte der Teheraner Journalist Ali Jamschidi im Gespräch mit dem Korrespondenten dieser Zeitung. Die Mullahs hätten jetzt „richtig Angst“. Anders lasse sich die letztendlich vom Volk erzwungene Blockade des umstrittenen Kopftuchgesetzes nicht erklären.